Es gibt nichts zu erreichen?
Im Zen sagen wir, dass es nichts zu erreichen, oder wie Kodo
Sawaki so schön sagte: „Zen bringt nichts.“
(Und) Dieser Gedanke kann verführerisch sein für das
neurotische Ego, das sofort denkt, konzipiert „Ah, ist ja
klasse, wenn’s nichts zu tun gibt, nichts zu erreichen, dann
brauche ich ja auch nichts zu machen, brauche ich mich auch
nicht zu bemühen, Ja, wozu eigentlich bemühen? Gibt ja
nichts zu erreichen.“
Da ist es wichtig zu verstehen, was damit gemeint ist.
Wenn wir sagen, da gibt es nichts zu erreichen, dann meint
das: Da ist nichts, was noch hinzukommen kann, da ist
nichts, was ihr nicht schon besitzt, habt. Da ist nichts,
was ich euch als Lehrer geben kann, kein „Add-on“, sondern
(damit ist gemeint), alles ist da. Insofern ist nichts zu
erreichen.
Oder: Zen bringt nichts, bringt nichts hinzu, was nicht
schon da ist.
Auf der anderen Seite muss man klar sehen, dass es da
einiges gibt. Um euch das zu verdeutlichen, stellt euch euch
selbst als ein Haus vor, ein großes Haus mit weiten Etagen,
mit vielen Etagen – und das alles seid ihr. Aber ihr haltet
euch nur in einem kleinen Zimmerchen auf. Das ist die
Bibliothek, da stehen die ganzen Bücher drin, die ganzen
Buchhaltungssachen und alles, was man so „wissen“ muss und
Ihr haltet dieses Zimmerchen für das Leben.
Und aus dieser Perspektive, es gäbe nichts zu erreichen,
kann es sein, dass wir unser Leben lang in diesem Zimmerchen
verbringen, ohne zu realisieren, ohne zu entdecken und ohne
zu aktualisieren, was wir eigentlich – jenseits dieses
Zimmers - sind. Und in diesem Sinne, bringt Zen-Praxis sehr
viel oder es gibt eine Menge dort zu erreichen, besser noch,
zu entdecken. So kann man eben durchaus von Stadien
sprechen, die wir durchlaufen innerhalb der meditativen
Praxis. Und es ist wichtig, da durchzugehen und diese Tiefe
auch zu erlangen und nicht auf einer Ebene hängen zu
bleiben.
Das heißt eben, das ganze Haus erkunden.
Und diese Stadien sind wie die Etagen vom Haus. Ebenso hat
jede Etage ihre eigene Weite, Tiefe, die es auch zu erfahren
und zu füllen gilt. Ja, insofern kann diese Bemerkung oder
diese Erkenntnis, dass Zen nichts bringt, dass es nichts zu
erreichen gibt, (das) kann eine Verführung sein für uns, zu
stagnieren und in irgendeiner kleinen knuffeligen,
kuscheligen Bewusstseinsblase unser Leben dahin zu fristen.
Aber es gibt mehr, und deswegen gibt es schon eine Menge zu
erreichen und auch eine Menge zu tun. Wenngleich hier das
Paradoxon zutrifft, eine Menge zu tun, indem wir „sein“
lassen.
Immer wieder laufen wir mit diesen Konzepten rum, wie das
denn sein soll, wenn man lange genug meditiert hat, wenn man
Erleuchtung erfahren hat. Ja, dieses verbreitete Image
desjenigen, der die ganze Zeit so erleuchtet breit in die
Ewigkeit grinst.
Was ein nettes Bild ist, aber es ist ein Fehlkonstrukt – es
stimmt nicht.
Auch wenn wir erleuchtet sind, wenn wir Erleuchtung
erfahren, erfahren haben, gibt es Schmerz, gibt es Leid,
gibt es Freude, gibt es Spaß. Oder wie Ken Wilber mal schön
gesagt hat: „Wir weinen mehr, und wir lachen mehr.“
Weil wir weiter werden, uns offen machen für das Sein, für
das Leben. Und dadurch werden wir auch berührbarer, und das
ist das wovor wir oft Angst haben. Aber zugleich eröffnet
sich das gesamte Spektrum der Perspektiven und dadurch auch
viel mehr, unendlich mehr Möglichkeiten mit dem Sein, mit
dem Jetzt umzugehen.
Und von daher fordert es, wenn wir Zazen machen durchaus
volle Aufmerksamkeit, volle Konzentration, Hingabe.
Deswegen: wenn ihr Zazen macht, macht es ganz.
Ganz da sein.